Wilhelm wurde nur 32 Jahre alt...
Ich finde es so besonders traurig, dass sein Vater und seine Stiefmutter sich bestimmt gefragt haben, warum Willi am Leben so verzweifelt war, dass er sich das Leben genommen hatte (denn das hatte man ihnen offiziell wohl mitgeteilt – aber natürlich nicht, warum!). Vielleicht dachten sie, sie träfe eine Mitschuld daran. Ich habe selbst einen Sohn - und der Gedanke an ihre Verzweiflung trifft mich sehr!
Ich durfte mir als Kind immer alle Fotos, Urkunden etc. ansehen, die einzige Auskunft die meine Mutter mir zu ihrem Bruder geben konnte war, er hätte sich als junger Mann das Leben genommen (sie war gerade 16 Jahre, als es passierte).
In Wirklichkeit stürzte er aus dem 3. Stock des Stadthauses in Hamburg, vermutlich um weiteren Quälereien in den „Verhören“ zu entgehen – ob ihm bewusst war, dass er dadurch in den Tod springt, kann man nur vermuten – vielleicht war es im Affekt, vielleicht wollte er selbst auch niemanden denunzieren (wie es von allen Verhafteten erzwungen wurde)... mehr wird man nie erfahren, denn lt. Polizeibericht blieb er schwer verletzt, mit zerschmetterten Knochen auf dem Gehweg liegen, wurde ins Hafenkrankenhaus transportiert und verstarb dann dort.
Vorgeworfen wurde ihm außerdem noch Diebstahl von „bezugsscheinpflichtigen Waren“ bei seinem Arbeitgeber, die er angeblich an seine „Partner“ verschenkt haben soll – was aber durchaus ein üblicher Vorwand für die Verhaftung sein konnte.
Ich kann mir das, bei dem familiären Hintergrund und dem Lebensstil von Willi, einfach nicht vorstellen. Vielmehr wird er vermutlich vergünstigt Waren bei seinem Arbeitgeber gekauft haben, die er vielleicht nicht mit den erforderlichen Bezugsscheinen bezahlt hat, sondern mit Geld (was damals natürlich verboten war und auch seinen Arbeitgeber in Schwierigkeiten gebracht hätte). Eine Anzeige seines Arbeitgebers liegt auch gar nicht vor (es wird lediglich der "Verdacht" erwähnt) – und das restliche Geld, das Willi bei sich hatte (95 RM), wäre dann auch bestimmt nicht an seinen Vater ausgehändigt worden, wie es in der Akte vermerkt wurde.
Es ist doch auch heute noch üblich, dass Angestellte vergünstigt einkaufen können bei ihrem Arbeitgeber, das wird Willi wohl auch getan haben. I. erzählte, dass er ihrer Mutter vorher auch schönes Porzellan geschenkt hatte – das wäre ja alles nicht unbemerkt geblieben und er hätte sicher seinen Arbeitsplatz verloren, wenn er nicht alles bezahlt hätte. So ein Risiko wäre er doch niemals eingegangen! Auf allen Fotos ist er sehr geschmackvoll und gepflegt gekleidet, was er sich als Junggeselle in seinem Beruf wohl auch leisten konnte.
Leider fehlt in der Akte der erwähnte Bericht der beiden Beamten, die bei dem Verhör und Todessturz anwesend waren. Ich hoffe, ich werde es noch irgendwann lesen können – falls es nicht bereits vernichtet ist.
Wer Willis Wohnung/Zimmer in Travemünde aufgelöst hat, konnte ich nicht ermitteln. Die Anschrift gibt es noch, auf eine Anfrage habe ich jedoch keine Antwort erhalten. Inzwischen hat das Haus längst neue Eigentümer und ein weiterer Stolperstein wurde zur Erinnerung an Wilhelm dort im August 2023 verlegt.
Die „Habe“ von Willi, 95 Reichsmark, wurde von der Polizeibehörde an seinen Vater übergeben.
In der Fotobox meiner Mutter befand sich auch noch die Todesanzeige für Willi – ich gehe davon aus, dass er also an der evangelischen Kirche Sankt Martin in Zetel beigesetzt wurde, wie auch seine Großeltern und Eltern.
Im Sterberegister ist der Vermerk hinzugefügt "Selbstmord" - damals ein Makel, eine zusätzliche Belastung der trauernden Familie.
So, wie ich Deinem Vater über meine überraschenden Entdeckungen berichtet hatte, habe ich auch versucht Kontakt zu W. und I., den Kindern von Tante Grete zu bekommen. W. ist leider im letzten Jahr verstorben, aber mit seiner Witwe I.-H. und meiner Cousine I., habe ich durch diese Geschichte wieder regen Kontakt.
So sind auch einige ihrer Erinnerungen in Willis Lebensgeschichte eingeflossen.
Ich hätte gerne gewusst, wer damals den Stolperstein für Willi gestiftet hatte und, ob er eine persönliche Beziehung zu ihm hatte, oder ob es eine zufällige Auswahl, stellvertretend für die vielen homosexuellen Opfer war. Es ist mir nicht gelungen, das herauszufinden.
Liebe Grüße...
Ich durfte mir als Kind immer alle Fotos, Urkunden etc. ansehen, die einzige Auskunft die meine Mutter mir zu ihrem Bruder geben konnte war, er hätte sich als junger Mann das Leben genommen (sie war gerade 16 Jahre, als es passierte).
In Wirklichkeit stürzte er aus dem 3. Stock des Stadthauses in Hamburg, vermutlich um weiteren Quälereien in den „Verhören“ zu entgehen – ob ihm bewusst war, dass er dadurch in den Tod springt, kann man nur vermuten – vielleicht war es im Affekt, vielleicht wollte er selbst auch niemanden denunzieren (wie es von allen Verhafteten erzwungen wurde)... mehr wird man nie erfahren, denn lt. Polizeibericht blieb er schwer verletzt, mit zerschmetterten Knochen auf dem Gehweg liegen, wurde ins Hafenkrankenhaus transportiert und verstarb dann dort.
Vorgeworfen wurde ihm außerdem noch Diebstahl von „bezugsscheinpflichtigen Waren“ bei seinem Arbeitgeber, die er angeblich an seine „Partner“ verschenkt haben soll – was aber durchaus ein üblicher Vorwand für die Verhaftung sein konnte.
Ich kann mir das, bei dem familiären Hintergrund und dem Lebensstil von Willi, einfach nicht vorstellen. Vielmehr wird er vermutlich vergünstigt Waren bei seinem Arbeitgeber gekauft haben, die er vielleicht nicht mit den erforderlichen Bezugsscheinen bezahlt hat, sondern mit Geld (was damals natürlich verboten war und auch seinen Arbeitgeber in Schwierigkeiten gebracht hätte). Eine Anzeige seines Arbeitgebers liegt auch gar nicht vor (es wird lediglich der "Verdacht" erwähnt) – und das restliche Geld, das Willi bei sich hatte (95 RM), wäre dann auch bestimmt nicht an seinen Vater ausgehändigt worden, wie es in der Akte vermerkt wurde.
Es ist doch auch heute noch üblich, dass Angestellte vergünstigt einkaufen können bei ihrem Arbeitgeber, das wird Willi wohl auch getan haben. I. erzählte, dass er ihrer Mutter vorher auch schönes Porzellan geschenkt hatte – das wäre ja alles nicht unbemerkt geblieben und er hätte sicher seinen Arbeitsplatz verloren, wenn er nicht alles bezahlt hätte. So ein Risiko wäre er doch niemals eingegangen! Auf allen Fotos ist er sehr geschmackvoll und gepflegt gekleidet, was er sich als Junggeselle in seinem Beruf wohl auch leisten konnte.
Leider fehlt in der Akte der erwähnte Bericht der beiden Beamten, die bei dem Verhör und Todessturz anwesend waren. Ich hoffe, ich werde es noch irgendwann lesen können – falls es nicht bereits vernichtet ist.
Wer Willis Wohnung/Zimmer in Travemünde aufgelöst hat, konnte ich nicht ermitteln. Die Anschrift gibt es noch, auf eine Anfrage habe ich jedoch keine Antwort erhalten. Inzwischen hat das Haus längst neue Eigentümer und ein weiterer Stolperstein wurde zur Erinnerung an Wilhelm dort im August 2023 verlegt.
Die „Habe“ von Willi, 95 Reichsmark, wurde von der Polizeibehörde an seinen Vater übergeben.
In der Fotobox meiner Mutter befand sich auch noch die Todesanzeige für Willi – ich gehe davon aus, dass er also an der evangelischen Kirche Sankt Martin in Zetel beigesetzt wurde, wie auch seine Großeltern und Eltern.
Im Sterberegister ist der Vermerk hinzugefügt "Selbstmord" - damals ein Makel, eine zusätzliche Belastung der trauernden Familie.
So, wie ich Deinem Vater über meine überraschenden Entdeckungen berichtet hatte, habe ich auch versucht Kontakt zu W. und I., den Kindern von Tante Grete zu bekommen. W. ist leider im letzten Jahr verstorben, aber mit seiner Witwe I.-H. und meiner Cousine I., habe ich durch diese Geschichte wieder regen Kontakt.
So sind auch einige ihrer Erinnerungen in Willis Lebensgeschichte eingeflossen.
Ich hätte gerne gewusst, wer damals den Stolperstein für Willi gestiftet hatte und, ob er eine persönliche Beziehung zu ihm hatte, oder ob es eine zufällige Auswahl, stellvertretend für die vielen homosexuellen Opfer war. Es ist mir nicht gelungen, das herauszufinden.
Liebe Grüße...